Teil 2 des Interviews mit Frank Carstens. Heute geht es dort weiter, wo wir nach dem Sieg gegen TUSEM Essen begonnen haben. Mich interessiert der Mensch Frank Carstens, der neben GWD Minden auch schon in Hannover, Magdeburg und beim DHB tätig war. Seit 2015 ist er Cheftrainer in Minden, mit diesem 2. Teil möchte ich ein bisschen hinter den Trainer schauen. Wie denkt der Mensch Frank Carstens?
Jeder, der sich schon mal mit ihm unterhalten hat, weiß, was für ein grandioser Gesprächspartner er sein kann. Und so kann man ein Interview mit ihm nur in zwei Teile aufteilen. Ein Mann mit Weitblick, der mich begeistert hat. Der mich gefangen hat in seiner Handball-Welt. Seine Ansichten in puncto Heimat, GWD und Nachwuchsarbeit kommen auf den Tisch. Aber auch seine legendären Auszeitansprachen habe ich noch mal hinterfragt.
Heimat für Sportprofis?
Frank Carstens hat 3 Jahre in Minden Handball gespielt. Jetzt ist er seit 2015 Trainer bei GWD. Fühlen sich Frank und seine Familie inzwischen heimisch im Mühlenkreis?
Der Begriff „Heimat“ ist für Sportprofis ist so eine Sache. Weil wir immer bereit sein müssen, den Wohnort zu wechseln. Da soll man sich keine Illusionen machen.
Frank Carstens lachende Antwort
Für die Spieler gibt es normalerweise 36 Plätze in der Bundesliga und für Trainer sogar nur 18. In dieser Saison etwas mehr. Zu sagen, hier ist meine Heimat und ich geh nirgendwo anders hin, das kann sich ein Sportprofi oder ein professioneller Trainer nicht leisten.
Auch nach den vielen Jahren hier als Spieler sind die Kontakte zu Horst Bredemeier und Günter Gieseking nie abgerissen. Man ist sich immer wieder über den Weg gelaufen. Mit Bremen, auch ein ehemaliger Verein, ist Minden einer der prägendsten Klubs seiner Karriere. Die ihn auch auf menschlicher Ebene immer begleitet haben.
Seine Familie ist sehr gut angekommen. Sie haben hier ein Haus gekauft. Das spricht schon sehr dafür, dass die Familie hier nicht mehr so gerne weg möchte.
Was macht den Klub GWD Minden aus?
Auf der einen Seite überzeugt ihn in Minden die starke Nachwuchsarbeit und man hat auch die Möglichkeit, diese Spieler in der Bundesliga einzusetzen. Wenn diese Nachwuchsspieler ein gewisses Level erreicht haben, dann ist hier die Möglichkeit, den Spielern den Weg in die HBL zu ebnen. Bei einem Klub wie dem SC Magdeburg, wo er vorher tätig war, ist das eine ganz andere Nummer. Da sind die Ansprüche wesentlich höher. Dort hatte er weniger Raum Nachwuchsspieler einzusetzen.
Hier in Minden kann man wirklich Talente entwickeln. Wir haben in den letzten Jahren viele Spieler im jungen Alter dazu bekommen, die wir dann ein paar Jahre begleitet haben und die dann zu besseren Klubs gegangen sind oder gehen werden.
Frank Carstens über Nachwuchsarbeit
Angefangen ist er in Minden mit einer Mannschaft, die ein Durchschnittsalter von 30 Jahren aufwies. Mittlerweile ist man bei einem Durchschnitt von 23 Jahren angelangt, das ist schon ein sehr krasser Unterschied. Und dabei sind die zwei 40-Jährigen mit einberechnet. Da hat sich schon viel getan bei GWD Minden. Diese Ausbildungsarbeit ist etwas, das er gut findet, ihm großen Spaß macht und auch das man viele Erfolge sehen kann, abseits der Tabelle.
Natürlich muss die Tabellensituation stimmen, die Ergebnisse müssen erzielt werden. Das Ziel ist immer das Mittelfeld, obwohl man das in den letzten zwei Jahren nicht erreicht hat. Da steht noch mal Besserung an. Konstanz zeigen, auch Leistungsträger halten wie es den Klubs wie z. B. der HSG Wetzlar, dem HC Erlangen oder dem BHC gelungen ist. Das gelingt GWD nicht immer, und so kann der Verein von dieser Nachwuchsarbeit nicht profitieren. Sein Ziel ist es, mit GWD einen einstelligen Tabellenplatz zu erreichen, aber dafür muss man Leistungsträger halten. Es geht nicht, jedes Jahr ein neues Team aufzubauen.
Aber genau das kommt wahrscheinlich in der nächsten Saison auf ihn zu
Elf Verträge laufen aus, aber das heißt ja nicht, dass elf Spieler gehen. Genau darum geht es jetzt. Leistungsträger zu halten, Spieler in ihrer Entwicklung noch weiter zu bringen. Aber wer kann in Minden gehalten werden? Gibt es schon Ergebnisse? Das ist im Moment die am schwersten zu beantwortende Frage, weil niemand weiß, auf welchem Level arbeitet GWD im nächsten Jahr überhaupt. Wie ist die Prognose? Davon hängt ja ab, wem man ein Angebot unterbreiten kann. Niemand weiß, wieviel Geld zur Verfügung steht, um den Spieler bezahlen zu können. Sein Ziel ist es, Spieler zu halten und weiterzuentwickeln.
Ein paar seiner Ansprachen in den Auszeiten sind ja schon legendär
Dank Sky kann man das ja auch alles schön mithören. Es gibt da diese legendäre Ansprache: „Wollt ihr mich ver…….? Was spielt ihr denn da für eine Sch…..?“
In der 2. Hälfte des Essen-Spiels hätte ich von ihm wieder so eine wortgewaltige und laute Ansprache erwartet. Aber die kam nicht. Wann und wie merkt er, wann er laut werden muss und wann nicht? Seit 2006 trainiert er professionelle Mannschaften, seine Trainerlizenz hat er viele Jahre davor gemacht. Irgendwann merkt man das.
Zu Beginn des Spiels sind wir deutlich überlegen. Wir haben alles im Griff. Wir führen deutlich. Verlieren kein einziges 1 gegen 1 Duell. Aber nach drei unglücklichen Aktionen sieht man das die Stabilität fehlt, so etwas wegzudrücken und wieder an sich zu glauben.
Auf das Essen-Spiel bezogen erklärt er mir es so.
Und weiter, wenn man 7:1 führt, dann kann man erwarten, dass die Mannschaft dies über die Zeit bringt. Aber das kann sein Team im Moment nicht. In Kiel hat sich die Mannschaft eine deutliche Niederlage abgeholt, dann folgte die Quarantäne wegen eines Corona-Falls. Die Mannschaft verliert mit Juri Knorr einen ganz wertvollen Spieler. Und dann verlieren sie das wichtige Spiel in Friesenheim.
Und gegen Essen war Druck drauf. Da macht es keinen Sinn, die Spieler wachzurütteln. Dann machen kleine Handlungsanweisungen mehr Sinn. Und das so, dass sie es auch wirklich verstehen können. Dann geht es nicht um eine emotionale Botschaft sondern um eine taktische Botschaft. Und es geht um Souveränität. Ruhe bewahren! Weitermachen!
Dann gibt es aber auch andere Momente, wenn die Mannschaft zu passiv ist. Zu wenig engagiert ist. Dieses ist meist in der ersten Halbzeit der Fall. Da muss er die Mannschaft wachrütteln.
Die wichtigen Auszeiten sind in der zweiten Halbzeit und man muss immer die gesamte Situation sehen. Es macht keinen Sinn, wenn ein Team eine Führung verspielt hat und mit drei Toren hinten liegt, dann noch draufzuschlagen und wachrütteln zu müssen.

Seine Spieler sehen diesen „verbalen Tritt“ aber nicht immer negativ. Sie sind vielleicht in dem Moment sauer und fragen sich, was will der denn jetzt? In der Reaktion wissen sie meist so ganz unrecht hat der nicht. Die Zusammenarbeit würde nicht so lange so gut funktionieren, wenn er das nicht dürfte. Das ist ja auch eine öffentliche Bloßstellung, das darf man nicht vergessen. Man muss sich schon gut kennen und Vertrauen zueinander haben.
Jedes Spiel ist eine permanente Prüfungsbelastung
Geht Frank Carstens während des Spieles so richtig mit? Braucht er sogar eine Dusche danach? Diese Saison hat er noch keine nach dem Spiel gebraucht, weil die Hallen viel kälter sind. Die Zuschauer sind nicht in da und es ist viel besser klimatisiert.
Aus den Prinzipien des mentalen Trainings weiß man, das die gleichen Hirnareale angesteuert werden, ob man sich eine Bewegung vorstellt, sie sieht und innerlich mitgeht oder ob man sie selber macht. Es belastet einen schon die permanente Aufforderung, Entscheidungen zu treffen ist eine beanspruchende Situation. Es gibt Spiele, die kann man eher aus dem Ärmel schütteln als andere. Die Spiele gegen Essen und Friesenheim sitzen schon etwas länger in ihm. Und er gibt zu, dass er manchmal wirklich kaputt ist. Trainer sein ist Arbeit.

Die Erklärung für das obige Bild folgt auch prompt von ihm. Nach einer schlechten Leistung in der Vorbereitung in Wilhelmshaven, dann das miserable Testspiel gegen den ASV Hamm. Danach wurde es langsam besser. Nach einem Sieg gegen den BHC folgte die Niederlage gegen Leipzig. Das Spielo-Cup Wochenende war insgesamt sehr anstrengend. „Ich merkte, wir waren auf einem guten Weg und ich konnte durchatmen.“ So etwas sieht man normalerweise nur in der Kabine von ihm.
Jedes Spiel ist eine geistige Belastung. Jedes Spiel ist eine permanente Prüfungssituation. Jeder fragt mich. Das Spiel fragt mich, das Team und manchmal fragen mich sogar die Schiedsrichter.
Ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch. Es ist nicht selbstverständlich, in dieser besonderen Phase noch Zeit für ein Interview zu finden. Es hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Frank Carstens ist ein toller Unterhalter. Ich habe mich jede Sekunde wohlgefühlt und gerne zugehört.
Danke Frank Carstens






Alle Fotos von Nadine Hoppmann